Die Bradford University School of Management stieß in den 1980ern mit einer Forschungsarbeit die Kontroverse schlechthin in der Erhebung von Krankenstand an.
Der Bradford Faktor ermöglicht es, die Abwesenheit von Mitarbeitern während eines beliebig festgelegten Zeitraums zu überwachen.
Dem Bradford Score folgen Grenzwerte bzw. Triggerpunkte, die Rückschlüsse auf Absentismus (Fernbleiben ohne Krankheitsgrund) geben sollen.
Das größte Problem hat der Bradford-Faktor in der Übertragbarkeit seiner (englischen) Herkunft auf das deutsche System.
Die Krux liegt darin, dass Krankheit von Arbeitnehmern hierzulande nach anderen Grundlagen und auch Benchmarks als in England betrachtet wird.
So gelten in Deutschland andere Regelungen, etwa zu langer Lohnfortzahlung, zum Kinderkrankengeld und auch verbietet der Datenschutz die direkte Frage zum Grund einer Krankheit.
Vieles davon kennen andere Länder nicht.
„Wir müssen aufpassen, dass wir Äpfel nicht mit Birnen vergleichen und dann von Bradford Scores schockiert sind, die im internationalen Vergleich alle Grenzwerte sprengen“, sagt Tim Grove zum Thema, operativer Vorstand der Harbinger AG und Projektlead vieler HR KPI und Beratungsprojekte zur Fehlzeitensenkung.
Grove weiter:
"Unser System sucht in seiner Arbeitnehmerfreundlichkeit seinesgleichen. Ohne das bewerten zu wollen, sind in Deutschland und Österreich viel höhere Werte die Norm. In vielen anderen Ländern gilt "krank = kein Geld", was Präsentismus fördert, aber auch viel niedrigere Schwellenwerte für Bradford rechtfertigt. Dagegen steht bei uns die Lohnfortzahlung von 42 Tagen. Unternehmen sollten unbedingt andere Triggerpunkte ansetzen, angepasst an Ihre Belegschaft. Andernfalls haben Sie unzählige Trigger 2 - Fälle und keine Ressourcen, das abzuarbeiten."Hilft der Bradford Faktor Ihrem Unternehmen trotzdem als Benchmark für zu viele Fehlzeiten?
Sollten Sie dieses Tool nutzen?
Für beide Fragen lautet die Antwort gleich: Es kommt auf Ihre Situation an.
Genau dem gehen wir in dieser Publikation nun auf den Grund.
Der Bradford Faktor wurde entwickelt, damit Arbeitgeber die Abwesenheitsraten ihrer Mitarbeiter einfach kategorisieren und - im Bestfall - kontrollieren und senken können.
Der Bradford Score ergibt sich aus einer einfachen Gleichung, die in Kombination mit einem System von Triggerpunkten und Werten deutlich macht, wer wie oft (Fälle) und wie lang (Tage) der Arbeit in einem Jahreszeitraum fernblieb.
Durch die Verwendung der Bradford Faktor Berechnung können Sie die Auswirkungen der Abwesenheit von Mitarbeitern auf Ihr Unternehmen besser verstehen.
Die Kalkulation fokussiert somit besonders Kurzzeiterkrankungen und bewertet diese als besonders kritisch für das Unternehmen.
In der Definition sind Sie eventuell über das Wort "Abwesenheitsraten" gestolpert. Das Thema "Krankheit von Mitarbeitern" ist ein kompliziertes.
Zwischen jährlichen Reports der Krankenkassen (AOK, DAK oder Techniker) und bis hin zur großen Lösung, dem strategischen Fehlzeiten Management, ist zunächst Definitionsarbeit nötig.
Abwesenheit bedeutet nicht gleich Krankheit.
Krankheit bedeutet nicht gleich Absentismus.
Sie sprechen intern vielleicht von Abwesenheiten oder Fehlzeiten Ihrer Mitarbeiter. Das beschreibt faktisch das Gleiche und vor allem erst einmal nur, dass Mitarbeiter fehlen.
Natürlich fehlen die Meisten aufgrund von Krankheit - doch bei diesen Begriffen geht es um Verfügbarkeit bzw. Nicht-Verfügbarkeit.
Sie sollten an dieser Stelle alle Abwesenheiten anrechnen, also etwa Urlaub, das Abbauen von Mehr- und Überstunden, eben alle Gründe für Abwesenheiten.
Krankenstand und Absentismus dagegen fallen in die Kategorie "Mitarbeiter fehlen aus gesundheitlichen Gründen". Oder?
Nicht ganz.
Absentismus ist laut Wikipedia definiert als "die Neigung von Personen, einem Termin, einer Verpflichtung oder einer Vereinbarung nicht nachzukommen, obwohl es keine Verhinderungsgründe (wie etwa Krankheit) gibt."
Zu deutsch: Krankfeiern.
Sie haben in Ihrem Unternehmen also einen Krankenstand (die totale Zahl krankgemeldeter Mitarbeiter, mit oder ohne ärztliches Attest), der aus einem nicht zu unterschätzenden - und schwer zu bestimmenden - Anteil von Absentismus besteht.
Gehen Sie davon aber aus:
Je höher Ihr Gesamt-Krankenstand und je weiter über dem Branchendurchschnitt, desto höher auch der Anteil von Absentismus innerhalb Ihres Unternehmens.
Und schon sind wir bei Bradford. Naja, fast...
Durch Krankenstände und Absentismus entstehen deutschen Unternehmen Schäden in Milliardenhöhe.
Egal,
eines bleibt gleich: Ein zu hoher Krankenstand ist die Spitze des Eisbergs. Es ist ein Symptom dafür, dass etwas im Unternehmen (oder einzelnen Abteilungen) gewaltig schiefläuft. Ein Zustand, der meist verheerende Folgen hat.
Lösungen müssen her.
Kann der Bradford-Faktor Ihnen helfen?
Finden wir es heraus.
Die Bradford-Formel sieht folgendermaßen aus:
S² x D = B
S steht für spells, also die Anzahl der Fehlzeitenfälle
D steht für days, also die Anzahl der Fehlzeitentage
B steht für Bradford Faktor, das sich als zu bewertender Gesamtscore darstellt.
Oder einfacher ausgedrückt:
Anzahl Fehlzeiten x Anzahl Fehlzeiten x Anzahl Fehltage = Bradford Score
Nehmen wir den durchschnittlichen, deutschen Arbeitnehmer im Jahr 2023.
Er ließ sich über das Jahr zweimal krankschreiben, fehlte insgesamt 20 Tage.
↳ 2 x 2 x 20 = 40
Sein Bradford Score ist somit 40.
Je höher die Punktzahl, die die Formel ergibt, desto größer sind die Probleme des Abwesenheitsmusters der Person.
Wie funktioniert es?
Nehmen wir an, drei Ihrer Mitarbeiter sind über einen Zeitraum von 6 Monaten zehn Tage krank.
Der Bradford-Faktor gibt Person C die höchste Punktzahl (360), gefolgt von Person B (40) und Person A (10).
Da legt laut Bradford nahe, dass die Abwesenheiten von Person C einen größeren und negativeren Einfluss auf den Arbeitgeber haben als von Person B und von Person A.
An dieser Stelle kommen sogenannte Triggerpunkte oder Schwellenwerte ins Spiel.
Vorab: Die nun aufgeführten Schwellen- oder Triggerpunkte sind nur mögliche Benchmarks.
Andere Quellen setzen die Grenzen bei beispielsweise 200 oder 450.
Hier die offizielle Version...
Den ersten Trigger setzt Bradford bei 45.
Offiziell bedeutet ein Wert bis maximal 45 dabei, dass kein noch kein Trigger ausgelöst wird. Die verantwortliche Führungskraft sollte sich ab - je höher der Score und auch der unterliegende Trend beim Mitarbeiter - erste Gedanken über mögliche Disziplinarmaßnahmen machen - falls die Werte weiter steigen.
(Führungsverhalten und Krankenstand hängen übrigens nachweislich zusammen.)
Der erste echte Trigger 1 liegt im Bereich eines Bradford Faktors 46 bis 100.
Dieser Bereich beschreibt einen ausreichenden Score für die Führungskraft, um Disziplinarmaßnahmen einzuleiten (mündliche Abmahnung, schriftliche Abmahnung, formelle Überwachung, usw.).
Der zweite Trigger gibt Grund zur Sorge. Und eventuell ernsten Maßnahmen.
Bei Trigger 2 rangiert der Mitarbeiter mit seinem Bradford Faktor zwischen den Werten 101 bis 900.
Hier spricht man von einem ausreichenden Score für die Führungskraft, um weitreichende Disziplinarmaßnahmen einzuleiten (zu definieren).
In den meisten Fällen deutet ein solcher Score auf wiederkehrende Krankheitsmuster hin - und eben Absentismus.
Nach oben gibt es mathematisch kaum Grenzen.
Natürlich gilt: Je höher im roten Bereich (oder darüber), desto notwendiger die Einleitung von Maßnahmen.
Wichtig hier zu erwähnen: diese Triggerpunkte sind nicht in Stein gemeißelt. Sie können eigene Schwellenwerte definieren
Wir empfehlen, dass Sie Ihre eigenen Trigger diesen Variablen anpassen:
Aber genau hier, wo sich Trigger rot färben und Bradford Probleme identifiziert und Disziplinarmaßnahme prophezeit, stellen sich ethische Fragen.
Und und und...
Sie ahnen es: es braucht mehr für die einwandfreie Durchführung, die Überzeugung des Betriebsrates oder die faire Einführung eines solchen Systems.
Aufgrund der vielen Nachfragen möchten Sie zu einem schnellen Bradford Rechner (englisch) per Link weiterleiten.
Doch die genauere Betrachtung dieser Punkte lohnt sich...
Der Bradford-Faktor macht mutige und auffällige Behauptungen für sich. Schauen Sie sich einfach die Liste oben an: Einfach zu bedienen, einfach zu verstehen und absolut fair für alle.
Eine Win-Win-Situation, oder? Nicht ganz.
Ihr Unternehmen kämpft sich sicher durch Datenschutzgesetze und Unsicherheiten beim Thema Fehlzeiten und ähnlichen Themen.
Darum einige häufig gestellte Fragen und knappe Antworten:
Kurz gesagt lautet die Antwort auf die Frage „Ja“ – aber nur, wenn die von Ihnen gesetzten Triggerpunkte und die daraus resultierenden Konsequenzen „angemessen“ sind.
Es gibt kein Pauschalrezept, um zu entscheiden, was in Ihrer Situation vernünftige Triggerpunkte darstellt. Sie können also nach eigenem Ermessen vorgehen oder unterere Unterstützung nutzen.
Fragen Sie sich beim Festlegen Ihrer Triggerpunkte für den Bradford Faktor, welche Szenarien sich aus dieser Richtlinie ergeben könnten – würden Sie sich wohl dabei fühlen, diese Richtlinie gegenüber einem neutralen Zuschauer zu verteidigen?
Klares Ja.
Die Betriebsvereinbarung formuliert die Einführung und die Spielregeln.
Hier müssen Trigger, Betrachtungszeiträume, Folgen und besonderes Konstellationen (Teilzeitmitarbeiter, oben genannte 'andere' Gründe für Fehlzeiten, etc.) geklärt, schriftlich fixiert und verabschiedet sein.
Ja und Nein.
Nein - wenn Sie über zunächst niedrige Triggerpunkte nachdenken, die Sie verschärfen. Das ist nicht nur logistisch und organisatorisch nahezu unmöglich, es sendet schlichtweg allerhand falsche Signale.
Möchten Sie also Bradford Faktor so installieren, dass Triggerpunkte automatisiert Maßnahmen und Disziplinargespräche auslösen, gibt es nur einen "Entweder-Oder-Ansatz".
Entweder Sie führen den Prozess mitsamt Betriebsvereinbarung ein - oder nicht.
Ja - wenn Sie den Bradford Faktor berechnen möchten, aber - offen und transparent kommuniziert - inoffiziell laufen lassen möchten.
Das hört sich inkonsequent an, wir haben allerdings Unternehmen damit gute Erfahrung machen sehen. Es funktioniert so, dass die Personalabteilung in Zusammenarbeit mit Führungskräften die Fehlzeiten erfasst, den Bradford Faktor errechnet und offen kommuniziert.
Die Manager, Führungskräfte und Teamleiter - also alle mit Personalverantwortung und mindestens einem Direct Report - führen dann Mitarbeitergespräche auf Basis des Bradford Faktors.
Das geschieht, ohne dass sich daraus fest definierte Disziplinarmaßnahmen ergeben. Im Einzelfall sind diese zwar natürlich wie bisher möglich, aber nicht automatisiert erzwungen. Das Ergebnis ist oft,
sich Mitarbeiter in der Folge engagierter und motivierter zeigen
sich geringere Abwesenheitsquoten ergeben, und
sogar mehr Produktivität messbar ist
Nutzen Sie folgendes Formular, um eine schriftliche Grundlage diskutieren zu können.
Für eine vollständige Vorlage treten einfach mit uns in Kontakt.
„Fehlzeiten können komplex, variabel und unvorhersehbar sein. Unternehmen sollten nicht warten, bis ein Mitarbeiter einen bestimmten „Triggerpunkt“ auf der Bradford-Skala erreicht, bevor es eingreift.
Dadurch laufen sie Gefahr, nicht frühzeitig zu erkennen, wann er Hilfe benötigt. Die mögliche Eskalation in eine langfristige oder wiederkehrende Krankheitssituation ist viel teurer, schädlicher und verheerender als jede Präventionsmaßnahme.
Fehlzeiten fangen genauso wie Fluktuation bei Führungskräften an - meist ist der Support durch die Personalabteilung auch einfach nicht strategisch oder gut genug.“, sagt Tim Grove, Vorstand der Harbinger AG zum Thema.
Sie sehen: der Bradford Faktor ist nicht das Allheilmittel, wenngleich eine Möglichkeit, um intern ein Zeichen zu setzen.
In jedem Fall sollten Sie
Für echte Alternativen sagt Tim Grove weiter:
„Anstatt sich zu stark auf den Bradford-Faktor einzuschießen, sind Rückkehrgespräche eine effektivere, persönlichere und freundlichere Alternative. Dabei sprechen Teamleiter direkt mit Ihren Teammitgliedern nach ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz über deren Situation sprechen und finden heraus, ob sie Unterstützung benötigen oder Hilfe bei der täglichen Arbeit. Dazu muss gesagt, dass Führungskräfte hierzu auf eine einheitliche und effektive Durchführung geschult werden sollten, die gleichzeitig zu den Unternehmenswerten passt.
Dieser Ansatz ist auch effektiver, um Simulanten und Absentismus-Kandidaten zu identifizieren und Druck auf sie auszuüben."
Verwenden Sie den Bradford Faktor also nur dann, wenn Sie ein klares und zeitlich limitiertes Zeichen setzen möchten.
Verwenden Sie die Bradford Formel niemals, ohne Ihre Führungskräfte entsprechend zu schulen.
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